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Designkritik Freie Projekte Ein kritischer Essay über die Ausstellung "Demokratic Design" in der Neuen Sammlung, Pinakothek der Moderne, München. /////////////////////////////////////////// Zum Demokratischen Design Man meint sofort zu verstehen, was mit democratic design, dem Titel der IKEA-Ausstellung in der Pinakothek der Moderne in München gemeint ist: Demokratie heißt (gleiches Recht) für alle und IKEA ist Design für alle, ergo auch demokratisch. Demokratie bedeutet ursprünglich einen gesellschaftlichen Machtausgleich, einen Schutz der Bedürftigen gegen die Potenz der Mächtigen - Gegner schmähten die Demokratie stets als eine Verschwörung der Schwachen, um die Starken um ihr natürliches Recht zu bringen. Ähnliche Konflikte sind in der kapitalistischen Marktwirtschaft auch zu beobachten, und es zeigt sich immer wieder, dass die freie Wirtschaft in ihrer Dynamik keineswegs demokratisch ist. Vielmehr wachsen Großkonzerne, staatlich subventioniert und international vernetzt, auch oft auf Kosten der Kleinen. IKEA ist ein sehr großer Konzern, produziert billig in China und verliert nur selten einen seiner unzähligen Urheberrechts-Prozesse. Reicht es, Design mit beliebigen Mitteln für viele erschwinglich zu machen, um es demokratisch zu nennen? Als IKEA seine erste PS-Kollektion 1995 unter dem Titel democratic design präsentierte, geschah das sicher ohne derartige Hintergedanken, sondern im Sinne der gerne bemühten Forderung nach „Schönheit für alle“, die ihrerseits der skandinavischen Reformbewegung zu Beginn des 20. Jh. entstammt. Einem weltweit agierenden Großkonzern, der sich derart idealistisch gibt sollte mit Vorsicht begegnet werden, und es bleibt zu hoffen, dass man in München nicht ohne zu hinterfragen einen Marketing-Claim zum Ausstellungstitel machte. Denn man beschäftigt sich in der Pinakothek der Moderne nicht zum ersten mal mit einem solchen Thema. Ebenfalls während einer internationalen Finanzkrise fanden 1930 die Ausstellungen "Der billige Gegenstand" und "Die Wohnung für das Existenzminimum" statt. Letztere war eine Wanderausstellung der Ergebnisse eines Architekturkongresses. Walter Gropius formulierte in der Publikation noch handfeste soziale und soziologische Bedingungen und Forderungen. Es müsse im Wohnungsbau auf den demographischen Wandel Rücksicht genommen werden; der (noch demokratische) Staat sollte sich der Bedürfnisse der Massen annehmen. Hört man den Leiter der Neuen Sammlung, Florian Hufnagel, von den Idealen des Designs sprechen, ist dieses Bewusstsein für die gesellschaftliche Verantwortung der Gestaltung noch deutlich zu spüren. Die Neue Sammlung, eine eherne Feste der guten Form, eröffnet ihre demokratische Schau mit einer Gegenüberstellung, in der Ron Arads Bookworm etwas deplaziert wirkt neben der schlichten Regal-Ikone Billy. Hätte man Arads Original aus Metall gezeigt, wären sich hier zwei Ansätze begegnet: links die radikale Reduktion auf Ökonomie und Funktion, rechts die poetische Destruktion des Bücherbretts. Die seidenmatte Spritzgussästhetik von KARTELL aber macht auf Massenprodukt und wird von Billy mit einem Kniff in die Wange auf ihr Plätzchen verwiesen. Das Produkt von IKEA steht hier exemplarisch für ein nützliches Design für Viele, im Gegensatz zu einem dekorativen für Wenige. Auf der großen Treppe hinab zur Sammlung werden die Anfänge des Konzerns aus Südschweden gezeigt. Darunter die erste Eigenproduktion aus den 50ern und das erste zerlegbare Möbelstück, dessen zugeschnürte Verpackung im Vergleich zu den bekannten Flachpaketen, die als Podeste dienen, noch sehr krude wirkt. Am Fuß der Treppe, vor dem imposanten Setzkasten mit Glanzstücken modernen Designs erstreckt sich ein Meterlanger Riegel aus Billy Regalen. Während der Setzkasten voller Schmuckstücke steht sind die Fächer der Regale mit den bekannten bunten Plastikbechern von IKEA gefüllt. Billy wird diesmal Bruno Pauls Systemregal T550 gegenübergestellt. Formal ist die Ähnlichkeit verblüffend, und es zeigt sich, dass es keinesfalls nur die Typologie oder geniale Konstruktion ist, die IKEAs Dauerbrenner so erfolgreich macht. Es ist die gnadenlose Rationalisierung der Materialien. Folienbeklebter Presspan und Hartfaserpappe - in einer IKEA Filiale wird Billy wohl selten neben Massivholzmöbel gestellt. Der erste Eindruck ist überzeugend. Die Exponate sind intelligent gestellt und die Referenzen zu Stücken aus der Sammlung des Hauses ermöglichen eine differenzierte Betrachtung. Auch scheut man sich nicht, die ambivalente Qualität der IKEA-Produkte aufzuzeigen. In den eigentlichen Räumen der Neuen Sammlung versucht man den Bezug zur ständigen Sammlung raumübergreifend herzustellen: Die Möbel aus Schweden stehen auf ihren Verpackungspodesten neben und in der weitgehend unveränderten Dauerausstellung. Dies ermöglicht dem Betrachter um die Podeste herumzugehen und die Exponate vor der wechselnden Kulisse der Designgeschichte des 19. und 20. Jh. auf sich wirken zu lassen. Um doch einige konkrete Bezüge herzustellen wird z.B. Ögla in die Thonet Rotunde integriert, Aaltos Nr. 406 steigt zu Pöang aufs Podest und gleich eingangs begegnet einem eine Gruppe Stühle mit gelochten Lehnen. Darunter Landi von H.Coray, Minni von A.Citterio und Jules von N.W.Hansen (IKEA). Im Falle THONET macht der Bezug Sinn, wurde doch Ögla zunächst in einem THONET-Werk produziert. In der Sitzgruppe um Pöang fehlt die Distanz von alt und neu. Sicher wäre es zu plakativ und vielleicht auch ungerecht, würde man die Exponate konsequent als Original und Kopie stellen. Nicht jede Ähnlichkeit bedeutet gleich ein Plagiat und der Vorbilder sind es viele. Andererseits scheint es mir gefährlich, die Stücke von IKEA allzu selbstverständlich neben ihre Ahnen und Vettern zu stellen; auch wenn das sicher im Sinne des Geldgebers der Ausstellung wäre. So stellt sich bei den gelochten Stühlen die Frage, ob hier überhaupt eine Verwandtschaft besteht und warum Jules seinen Platz in dieser Gruppe hat. Seine Löcher übernehmen keine statische Funktion wie bei Landi etwa, sie sparen bestenfalls Material. Auch sonst mag dieser unscheinbare IKEA-Stuhl zu wenig Bezug zu seinen Nachbarn nehmen. Allesamt sind es Möbel für den öffentlichen Raum, robust, ergonomisch und möglichst ökonomisch. Im Sinne einer ästhetischen Gestaltung der Öffentlichkeit haben sie alle mehr Demokratiepotential als die schlichte Sperrholzschale auf dünnen Stahlrohrbeinen. Allein ein dekorativ verwendetes formales Detail sollte kein Produkt berechtigen, auf Augenhöhe mit den Klassikern zu stehen, und dass IKEA die perforierte Lehne nicht erfunden hat ist keine wertvolle Information. So interessant dieses Cluster auf den ersten Blick wirkt, so wenig sagt es zum Thema der Ausstellung. Der letzte Raum, in dem die Paternoster stehen bzw. sich drehen, bietet eine reine IKEA Schau. Nur schwer erkennt der Betrachter eine thematische Ordnung und wo das gegeben ist, fehlen Vergleich und Fokus. Inwiefern Kindermöbel aus den 70ern bis 90ern den Anspruch des democratic design erfüllen ist schwer zu sagen, wenn man nur wenige Einzelstücke ohne Referenzen nach außen sieht. Auch die Stücke aus der aktuellen und den vergangenen PS-Kollektionen wirken schwach. Das mag daran liegen, dass man sie sehr gut kennt und eine simple weitere Betrachtung keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn bringt. Ganz anders bei älteren IKEA Produkten, die man so selten sieht: Unter anderem finden sich hier ein Entwurf von Werner Panthon und eine Leuchte von Magistretti, die IKEA in den 70ern leicht verändert parallel zu ARTEMIDE vertrieb. Hier fehlt leider der Zwilling. Auch wenn etwas mehr Struktur hilfreich gewesen wäre verschafft die isolierte Betrachtung ausgewählter IKEA-Möbel einen schönen Eindruck der vielfältigen Formenwelt der Marke. Mit dem Gang durch die Jahrzehnte europäischen Designs im Hinterkopf, erkennt man ein feines Gespür für ästhetischen Zeitgeist und eine Offenheit, sich inspirieren zu lassen, sowohl von den Meistern als auch der skandinavischen Tradition der Volkskunst. Demokratisches Design muss gewährleisten, dass gute Gestaltung kein gesellschaftliches Privileg ist. Dem Firmen- und Vertriebskonzept von Ingvar Kamprad kommt auf diesem Gebiet die Rolle eines Pioniers zu. Eine Ausstellung in einer staatlichen Institution aber hätte das Prädikat dieses Ausstellungstitels nicht exklusiv herschenken dürfen. Für ein demokratisches Design und auch für das Selbstverständnis der Neuen Sammlung sind Phänomene von der Kunstgewerbe-Bewegung des 19.Jh. über Werkbund und Bauhaus bis Muji eminent wichtig. In dieser Ausstellungen treten sie mit ihren berühmtesten Erzeugnissen lediglich als Steigbügelhalter der blau-gelben Lösung auf. Etwas mehr Reibung hätte insgesamt gutgetan. Ohne die Errungenschaften IKEAs zu schmälern, hätte man darstellen können, dass für die demokratische Sache nicht nur intelligent adaptiert, sondern auch dreist kopiert wurde. Und das nicht aus einer basisdemokratischen Überzeugung für ein „open source-Urheberrecht“ sondern aus reinstem Merkantilismus. |
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