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Martin Fussenegger Michael Haas Kai Olaf Zirz
deutschland ist wieder sexy_

deutschland ist wieder sexy Dining Design 2005
Milano


Milano – Salone Satellite – Kellergeschoß

Jedes Jahr wieder Messen: Milano, Köln. Jedes Jahr die endlose Suche nach dem neuen, heißen Scheiß, jedes Jahr endlose Kataloge, dick wie Telefonbücher.
Pilgerfahrten zu den Städten des Geschehens und jedes Jahr Ernüchterung. Wo, wo um Gottes willen sind die neusten Möbel, die brandheißen Neuigkeiten, die wir noch nie gesehen haben und die uns vor Neid erblassen lassen. Die Möbel die uns zeigen dass wir, als kleine Studenten, noch üben müssen, viel, viel üben müssen. Jedes Jahr aufs Neue die endlose Suche, die endlose Suche nach.... . Nach Nichts. Jedes Jahr das Gleiche und wieder das Gleiche. Ob schon mal jemand aufgefallen ist, dass es gar nichts mehr Neues gibt. Alles ist das Gleiche, das Gleiche wie letztes Jahr, das Gleiche wie jedes Jahr. Ich glaube, ich habe alles schon mal gesehen, irgendwo abgedruckt in einem Katalog oder in einer Zeitung oder vor drei Jahren in Köln. Na ja, ich übertreibe wohl ein wenig, alles habe ich noch nicht gesehen, ich gebe zu, es gibt Änderungen, die beachtet werden müssen. Was sehen meine müden Augen? Bei Capellini hat man khaki und rosa wieder ins Programm aufgenommen um die Regenbogenfarbenpalette jetzt endgültig zu komplettieren. Alle zehn Meter weht ein kleines rotes Fähnchen lustig im Wind und zeigt uns an „Achtung Sprengung“; nein, Spaß beiseite, hier passiert etwas, was ernst genommen werden muss; der Fähnchenaufsteller hat immerhin dafür gezahlt, dass er ein solches Fähnchen aufstellen durfte und im Katalog sind ihm auch zwei Zeilen gewidmet. Also einer schaut in den Katalog , einer will lieber was essen gehen, und einer behauptet schon davon gehört zu haben; o.k. also was soll’s schnell rein, a ha Büromöbel, und schnell wieder raus , lieber doch was essen gehen. Also an die nächste Ecke, ein nettes Cafe, zwanzigtausend Italiener oder solche die es gerne wären. Wir gehen hinein, super Cafe, plus Sandwiches, leider alles viel, viel zu klein, aber schmeckt wenigstens vorzüglich. Die Klamotten trocknen nur langsam, elender Regen, elende Wolken hängen über der Stadt, verflucht sei die Alpensüdseite. Was 8€ für Kaffe und Brötchen, nun ja scheiß drauf, wir gönnen uns den Spaß, einmal im Jahr, wir sind in Milano, Design Metropole der Welt, angeblich sind alle großen und alle kleinen Namen der Branche da, wir auch. Wir gehören dazu, wir sind dabei, bald sind wir reich.
So jetzt erst mal checken, wo heute Abend die Party des Jahrhunderts steigt, vielleicht die Kollegen anrufen, vielleicht hat jemand den entscheidenden Insidertipp zugespielt bekommen. Also Handy, Italienisches Netz, 3€ die Minute. Was ja, hallo, rauscht wie die Sau, na ja vielleicht ist die milanesische Luftfeuchtigkeit schuld. So Capellini und danach Surface stehen auf unserer Liste, da geht die Party heute Nacht ab, mit allem was dazugehört: Wein, Weib und Gesang. Alles für lau hab ich gehört und denk mir so nebenbei: „Schenk dir das Abendessen.“ Also wo ist das und wie komm ich da hin; schnell noch Einzelfahrschein kaufen und rein in die Bimmelbahn und mit der ganzen Truppe ans andere Ende der Stadt. Überall schlanke, groß gewachsene Frauen, die in ihren knappen Kleidchen frieren, mit kleinen dicken Männern, wahrscheinlich alles Designer. Über was die wohl gerade reden, wahrscheinlich übers Business, die sind wahrscheinlich weltweit aktiv und vor zwei Stunden von Monaco rübergejettet. Oh je, jetzt ist der Lady ihre feine Gucci Tasche runter gefallen und der Inhalt verteilt sich durch den ganzen Waggon der Straßenbahn, alles samt Einkäufe aus Discountmärkten, bei uns heißen die Aldi oder Lidl, wie die sich hier nennen weis ich nicht, aber am Ende ist doch alles Metro oder eben Wall Mart. Die junge Dame ist sichtlich bemüht, die nach allen Seiten entfliehenden Einkäufe zusammen zu halten, was ihr sichtlich schwer fällt. Ihr kurzes, sie kaum bedeckendes Kleid schränkt ihre Bewegungsfreiheit empfindlich ein. Ihr Partner versucht verzweifelt seinen beschädigten Schirm zu reparieren, was ihm aber nicht mal im Ansatz zu gelingen scheint. Wie viel wohl nasse Schulterpolster wiegen? Und wie sie sich anfühlen mögen, vielleicht lässt sich daraus was ableiten? Vielleicht auch nicht. Na ja, wie auch immer denke ich mir. Meine Gore Tex Jacke hält jedem Regen stand und sei er auch noch so heftig und warm ist sie überdies auch noch. Leider sehe ich damit aus wie ein freiwilliger Helfer der Bergwacht in Obertauern. Ich glaube meine Begleitung macht sich auch schon Sorgen über meine Verkleidung, wahrscheinlich kommen wir so nirgends rein und wir müssen wegen mir draußen im strömenden Regen verweilen. Aber schon kurze Zeit später stellt sich heraus, dass alle meine vorherigen Zweifel vollkommen unbegründet waren, denn wir gelangen nicht mal bis zur berühmt berüchtigten Gesichtskontrolle. Ungefähr 100 Meter vor der übergossen pinkfarbenen Leuchtschrift ist abrupt Schluss mit unserem Vormarsch. Nasser Matsch unter den Füssen, strömender Regen von oben und ca. 2000 Leute, die vor uns da waren und auch vor uns rein wollen. Meine Jacke hält dicht, mindestens drei Stunden, das kann ich jetzt mit Gewissheit behaupten. Zuvor hatte ich mich leider noch nie zu solch einem Selbstversuch überwinden können. So jetzt taucht da vorne einer auf, der anscheinend was zu sagen hat, und Tatsache, schon geht seine ca. 30sekündige italienische Ansage los. Ich verstehe kein Wort. Wo sind meine Übersetzer? A ja, „Geht alle nach Hause ihr kommt hier nicht rein, alles voll“.
Teilweise unter Tränen verteilt sich die Masse eher traurig ins angrenzende Industriegebiet. Kurze Zeit später ist der Platz leer und wir stehen vor einer Halle, ziemlich alt, ziemlich ranzig, doch zwei rosa Scheinwerfer und eine Hand voll Fähnchen motzen das Ding tierisch auf, und außerdem ist ja eh dunkel und keiner kann was Genaues erkennen, und regnen tut´s ja obendrein. Plötzlich und ganz unverhofft öffnet sich eine Tür und zwei Ladys stolpern hinaus auf den matschigen Vorplatz; tief bohren sich ihre Stiletos in den Untergrund, die Tür schwingt zu, kurz nachdem wir eingetreten sind. Keiner hat was gesagt, keiner hat sich beschwert, die Securities grüssen, wir sind drinnen. Unglaublicher Krach betäubt meine Ohren, überall stehen riesige Gasheizgeräte und schaufeln kubikmeterweise trockene Luft in die Halle. Jetzt nur nicht ablenken lassen, wo sind die köstlichen Speisen und Getränke, die mir versprochen wurden. Ich lasse meine Blicke kurz schweifen und entdecke die Bar, also schnell zwei, drei Sekt gesaved und dann nichts wie zum Buffet. Aber was ist das? Ich traue meinen Augen nicht, das gesamte Buffet besteht aus drei riesigen silbernen Schalen gefüllt mit Hartkäse, italienischer Hartkäse, Parmesan, nicht mal Brot gibt’s dazu. Hoffentlich wird mir da nicht noch schlecht, denn ich habe tierischen Hunger und beginne sofort mir größere Mengen Hartkäse einzuverleiben. Mit zwei Händen voller Hartkäse mache ich mich also auf den Weg durch die Halle, um die neusten einrichtungstechnischen Erungenschaften zu inspizieren. Aber ein ums andere Mal muss ich mir Sätze denken wie „ Vor zwei Jahren in Köln, vor zwei Monaten im Design Report“. Nun ja, wenigstens sind paar Kollegen da, ein ganz mutiger schleppt Michael Joung an. Prompt kümmern sich mehrere Studentinnen um ihn. Wir haben den Nabel der Welt erreicht, mittendrin statt nur dabei, der erste Höhepunkt unserer so kurzen Laufbahn. Vielleicht spricht mich ein reicher Produzent an und ich sage „Ich bin cool“ und schon kriege ich einen Millionenvertrag über zwei Sitzsäcke, die ich innerhalb einer Minute auf eine Serviette skizziere. Badz, mich trifft Hartkäse am Kopf, Parmesan, „ok wer hat den geworfen, mit euch Designfuzzis werd ich schon fertig“. Ross Lovegrove bewirft mich mit italienischem Hartkäse. Heißt der eigentlich Lovegrove oder Lovegroove? Wie auch immer, Liebeswald oder Liebesspalte, beides klingt für mich als geborenen Schwarzwälder eher peinlich. Wie jetzt, das ist sein Künstlername, das bedeutet der heißt freiwillig so und ist der eigentlich geschminkt, wie, ach anderes Ufer a ja das macht Sinn, nein zurück alles reine Spekulation. Michael Joung erwidert das Feuer und verteidigt tapfer meine Ehre, ich glaube man kennt mich hier, vielleicht sollte ich die Jungs duzen und wir bewerfen uns einfach noch ein wenig mit Käse. Jetzt dämmert es mir langsam, keiner von den anwesenden Star-Designern kennt mich, keiner will von mir geduzt werden. Ich wurde von einem Querschläger getroffen, der die große Schlacht der Designer verlassen hatte und seine todbringende Wirkung an mir entfaltete. Meine späteren Ermittlungen ergaben, dass das Geschoss höchstwahrscheinlich den neben mir stehenden Michael Jung galt, diesen aber knapp verfehlte und mich traf. Auf alle Fälle wurde mir in diesem Augenblick klar, dass ich unbeteiligt bin an der großen Schlacht der Designer. Ich bin klein und unbedeutend, Ross Lovegrove hat höchst wahrscheinlich nicht einmal gemerkt, dass ich getroffen wurde. Ich fühle mich schlecht und gedemütigt, gedemütigt vom Grossen Ross Lovegrove, dem Erfinder so vieler schnuckeliger Wohnideen. Wenn Ross Lovegrove mich demütigt, dann werde ich ihn verklagen und ihm zeigen, wer hier die Haare auf der Brust hat, wenn nicht in Europa dann in Amerika. Ja, ich sehe schon die Schlagzeile „Ross Lovegrove bewirft Jung -Designer mit Hartkäse“, Ehre angegriffen, seelische Grausamkeiten, 1 Million Euro Schadensersatz, vielleicht werde ich ja doch noch reich hier in Milano, vielleicht. Leider kann ich Ross nicht auch noch Lebensmittelverschwendung vorwerfen, es waren ja Tonne Hartkäse vorhanden. Aber ich denke eh, ich werde noch einmal ein Auge zudrücken. Nichts für ungut, Ross!
Trotzdem folgt wenig später der demonstrative Rückzug unsererseits. Nächstes Ziel, nächste Party, Surface, oder so ähnlich sollen die heißen, hab ich noch nie gehört, ist mir auch egal, aber angeblich sind die dick am Start die Jungs und machen so ein Mag in England und rocken die Show. Nun denn, wenn sie eine gute Party machen, mich keiner mit Käse bewirft und ich ohne Wartezeit reinkomme, na dann soll’s mir recht sein. Also los! Nur um die Ecke, das ist ja praktisch, obwohl der Regen nachgelassen hat, nun ja nachgelassen ist übertrieben, aber vielleicht doch ein wenig. Fast hätte ich mich während dem zweimünitigen Fußmarsch entspannt, da sind wir auch schon da. Und was ist das, andere Halle, andere Firma, aber jetzt weiß ich auch, wo die ganzen Leute hin sind, die vorhin bei Capelini nicht reingekommen sind. Ah der Herr Professor ist auch da, wusste gar nicht, dass sie Bodyguards dabei haben. Wie rausgeworfen, kann nicht war sein, ich dachte Sie seien berühmt?
Also anstehen, aber das bin ich ja gewohnt und meine Jacke ist auch noch dicht, also kein Problem. Dreißig Minuten und ungefähr zehntausend winzige Schritte später bin ich vorne an der großen Stahltür, die mir jetzt noch den Weg auf die Party versperrt. Dann Türsteher wie immer, Gott sei Dank habe ich drei junge Designerinnen im Schlepptau. Also herzlich Willkommen! Schöne Grüsse von Ross und schon bin ich drin. Nein Danke, keine Drogen, ach so Olive, passt schon. Ah hallo, da ist ja die Madam mit dem Junkfood in der Guccitasche, hat sich wohl umgezogen, wusste gar nicht, dass es Kleider mit noch weniger Kleid dran gibt; aber grober Fehler: Ich hab die Gucci Tasche wieder erkannt und ihren Mann, der ist immer noch recht klein aber um so dicker. Dieser beginnt jetzt so wild auf einem Philipe-Stark-Polyester-Fransen-Tepich zu dancen, dass er sich statisch auflädt bis er von der Decke angezogen wird und sanft entschwebt. Sein kleiner schneeweißer Schnauzbart leuchtet blendend im UV-Schwarzlicht. Ich allerdings konzentriere mich auf meine eigentliche Aufgabe wegen der ich eigentlich hier bin: Die endlose Suche nach Neuigkeiten! Also beginne ich die alte Kühlhalle nach neuen Designideen und zukünftigen Klassikern abzusuchen. Auf meiner Pirsch durch die Räumlichkeiten finde ich die Toiletten, noch längere Schlangen als draußen erwarten mich hier, aber immerhin top gepflegt. Es scheint mir fast, dass hier kaum jemand wirklich pinkelt. Nach all der heute erlebten Aufregung ziehe ich mich in einen etwas ruhigeren Bereich der Party zurück und lasse mich entspannt in ein wirklich weiches Sofa fallen, welches auf einer kleinen Erhöhung im Raum steht. Mit einem satten, Flupps verschlingt mich das Sofa sprichwörtlich. Im Hintergrund dröhnt Italo-Techno, abgewechselt von wabernder lounch-mucke. Plötzlich noch mal Flupps, das Sofa verschlingt ein weiteres Opfer neben mir. Mist, jetzt ist es wohl vorbei mit der Ruhe, bestimmt quatscht mich jetzt gleich einer auf Italienisch zu. „Ne, sorry, kein Bock auf den 5 Millionen Dollar Deal! Wie jetzt, ich hätte gar nichts machen müssen? Aber nein trotzdem nicht“. O.k., Ernst beiseite. Neben mir sitzen zwei silberne Adidas Superstars, mit gold-lilanem Trainigsanzug. Ich denke mir: „He Sportler, ich bin von der Bergwacht. Wenigstens ist mein Sofapartner so anständig und weiß sich zu benehmen und sagt einfach nichts. Fast wäre ich friedlich eingeschlummert und hätte mich dem Schlaf hingegeben, als mir jemand, mir Unbekanntes, aus Leibeskräften ins Ohr schreit: „Wie? Polizei? Mafia? Schnell kann ich meine sieben Sinne wieder zusammenpacken und versuche die Situation zu verstehen. Ok, ich verstehe, Security, Sofa – Ausstellungsstück – Prototyp, hab schon reingepupst, aber das muss ja keiner wissen. Also Knüppel aufn Kopp und rein in Sack, aufstehen, wegtreten, ok, ok Student from Germania, very famous Professor, nix verstehen, ich bin ja schon weg. Der Streetfighter neben mir hat anscheinend Kellogs Frostys, oder zumindest Granola Snowflackes zum Frühstück gegessen, auf jeden Fall bleibt er erst mal relaxt im Sofa hängen und hört sich das Gequatschte von den Securitys an. Dann Handgemenge, Worte auf Englisch, der Bart ist echt, das tat bestimmt weh. Dann tritt der Haupt-, der Ober-Obertürsteher auf den Plan, ca. 154cm Groß und 154 kg schwer, 1kg/cm, was wohl alleine sein Kopf wiegt?“ Icko Rashido“, ah jetzt, sorry, sorry, ein Designer, Karim Rashid hatte ein von sich selbst gestaltetes Sofa besessen und es mir sozusagen stillschweigend genehmigt auch dort zu sitzen. Die Türsteher entschuldigen sich und müssen als selbst demütigende Geste die Hosen runter lassen. Wer nach oben will, muss schwitzen. Nun ja Karim macht wieder „flutsch“ und verschwindet im Sofa, vielleicht sollte ich auch wieder „flutsch“ machen und mich auf meinen schon angewärmten Platz neben Karim setzen, wir sind ja sozusagen Kampfgefährten. Ich und Karim Seite an Seite gegen das Böse. Kaum hat die alte Rosine, welche mein Gehirn darstellt, das gedacht, ist mein Platz auch schon weg. Eine Hummel ist 20 Zentimeter über dem Boden herangeschwebt, angezogen vom Krach der Handgreiflichkeiten und ist auf meinem angewärmten Platz im Sofa gelandet, besser gesagt auf Karim Rashid gelandet. Hochhakige Schuhe, Strapse, Schottenrock, Bluse und dazwischen hautfarbene Badereifen. Eine Japanerin, verrät die Sony Handycam die auf REC alles saved. Dann rennen Fotografen heran, von allen Seiten kommen sie auf mich zu, dutzende Blitzlichter blenden mich, ich strauchle und stürze, schlage aber weich auf, 45 cm Neoprenschaum die das Sofa bilden haben mich gerettet. Aber nach dem Glück folgt auch meist das Unglück. Ich sehe nur noch schnell mal den Schottenrock unter mir und die silbrigen Superstars weit, weit oben, dann zerplatzt die Sony DV Handycam an meinem Haupt, alles wird golden, dann lila, dann schwarz...
...dann werde ich irgendwie wach ca. 12 Stunden später. Uh, hab ich schlecht geträumt, ich war in Mailand und dann Party, Ross, Karim, Käse und Sony, aber jetzt bin ich wach, alles ist gut.
Draußen regnet es, aber was ist das für eine Stadt, sieht irgendwie südlich aus hier, oh nein, nein, nein, nein.............Milano. Kein Traum, alles war, immer noch Milano, alles echt. Frühstück geht irgendwie nicht, elender Kaffe. Nein ich komme nicht mit auf die Messe, auch nicht in 20 Minuten. Ich bleib zu Hause und mache nichts und schaue einfach nichts an. Während ich so liege wird mir klar, dass wir nichts Neues gesehen haben, nichts was wir nicht auf allen Messen gefunden hätten, nichts was schon in 20 Magazinen war, nichts was spannend gewesen wäre und nichts was es gerechtfertigt hätte 500 Kilometer Autofahrt samt Alpenüberquerung auf sich zu nehmen.
Ich bin dann doch noch aufgestanden und zur Messe gefahren, wo ich zur Entspannung drei Stunden in der Stilmöbelabteilung rumgehangen bin. Ich vermute Araber stehen verdammt auf Stillmöbel, vielleicht sollte ich anfangen Araber zu beraten, denn die Stilmöbelabteilung ist riesengroß, viel größer als der ganze Design-Plunder.
So viel zu Milano; ich hab’s geschafft, ich war da, ich war dabei, warum weiß ich nicht und wofür auch nicht, aber das spielt ja auch keine Rolle. Ich quetsche mich mit zehn Mann in einen Fiesta und lass es mir egal sein ob die Scheiben anlaufen oder nicht, vielleicht, oder eher hoffentlich, ist nördlich der Alpen schönes Wetter.





Zur Aufgabe

Mailand will Mailand sein, Mailand will stylisch sein, die Händler, die Hersteller, die Wirtschaftsflaute, die Designer geben es nicht mehr her. Ein Herr von Praktikanten schuftet, aber keiner will es bauen. Zu gefährlich, zu gewagt, leider nur zu kleine Zielgruppe, das sind die üblichen Ausreden der Hersteller im Augenblick. Also kommt es wie es kommen muss und der ganze neue brandheiße Scheiß, den sich irgendjemand ausgedacht hat, ist nicht auf der Messe, sondern vergammelt als Skizze in irgendeiner Schublade. Währenddessen wird es auf der Messe immer nebliger, alles sieht gleich aus, alles ist auf den 08/15 Käufer abgestimmt. Experimente sind weit und breit nicht zu sehen, alles versinkt im Brei der Masse. Die Hersteller, die vor ein paar Jahren noch in Massen auf die Messe drückten, bleiben so langsam aus, Platz entsteht und bleibt leer. Da muss man sich was einfallen lassen dachten sich wohl die Verantwortlichen in Mailand und erfanden diese, unsere Aufgabe. Schulen sind relativ unabhängig, die können was Ausgefallenes auf die Beine stellen und die Show retten und so auch die Heftchen, die Flyer, die Magazine, die Massen von Lesern, Laufboten, Würstchenstände. Schulen erzeugen die beliebten bunten Bildchen, die jeder liebt und jeder von Milano erwartet, die uns aber die kommerziellen Aussteller in letzter Zeit schuldig bleiben. Also Platz im Kellergeschoß ist eh, also schnell ein paar Schulen auswählen und eine Agentur buchen, die Aufgabe erfinden und schon geht’s los. Aufgabe erfinden war schnell gemacht, denn die ganzen wohlhabenden Besucher aus aller Welt müssen auch was essen, da können die Studenten mitmachen. Restaurants gab’s letztes Jahr nicht also können wir dieses machen. Schnell Sponsoren suchen, Mc Donalds und Burger King sind nicht mehr so willig und machen sowieso ihr eigenes Ding, ok also neue Konzepte bitte! Wo gehen eigentlich die ganzen netten wohlgeformten Menschen abends hin, die wir mittags bei Star Bugs sehen. „Idee ende“. Hallo? Das ist keine Aufgabe! Das ist reiner Style, einfach ein nettes loungeiges Restaurant machen, zwei bis drei Flatscreen´s reinzimmern und alle fühlen sich wohl. 98% der Studenten sehen jetzt endlose soft edges vor sich durch den Raum schweben. Irgendwie finde ich die Aufgabe etwas komisch, wir sollen nur etwas einfach mal eben schön gestalten, aber sonst lieber nicht nachdenken. Ich glaube Mailand will einfach ein paar Praktikanten einstellen, die den restlichen Raum innerhalb ihrer Messe auffüllen, wir sollen einfach brave Mailandpraktikanten spielen.
Schulen dürfen nicht herhalten müssen, um fehlende Inspiration und Mut durch kommerzielle Aussteller ausgleichen zu müssen. Vor allem nicht die HfG-Karlsruhe, die sich sonst bei jeder Gelegenheit rühmt keine ausführende Designliga auszubilden, was sie sowieso nicht könnte, denn dazu fehlen die Alias Profi 3d´s, 5 Achs Fräsen, wochenlange Diskussionen um Radien und feinste Farbnuancen.
Die HfG will sich als Denker sehen, will denkende Studenten, keine Handwerker, sondern Umkrempler, Umdenker, Überdenker und Schrägansetzer. Das ist es, was man uns vor allem jahrelang eingetrichtert hat.
Vielleicht könnten wir dieses Problem der Aufgabenstellung als ein Ansatz der Lösung sehen.
Lösen wir diese Aufgabe, indem wir sie kommentieren, direkter Angriff, direkte Enttarnung und Vernichtung. Das wäre wohl der einfachste Weg, habe ich mir so gedacht. Wir stellen einfach etwas ganz anderes auf, kein Restaurant, kein Fast- Food, kein Style, kein Wein, lass uns einfach provozieren, lass uns Bier verschenken, alles kurz und klein schlagen, lass uns ne Kuh schlachten mitten in der Messe, als Mahnmal für den pflegelhaften Umgang mit Gottes Geschöpfen durch die Burgerindustrie. Morgen sind wir in allen Zeitungen, Skandal in Mailand, Professoren entlassen, alle sind bestürzt, andere sind glücklich über die Publicity, „he ich war dabei! Damals...“.Ross Lovegroove quetscht sich auch noch mit aufs Bild neben uns, bis zu den Knien in Tierinnereien. Aber wahrscheinlich würde keiner anfangen nachzudenken über das, was sie gesehen haben. „Die wollten halt auch mal auffallen!“, würden die Leute rufen, denn die Welt ist verwöhnt mit Explosionen.
Also Überlegen wir noch mal, um herauszufinden, wo wir unser leicht aufkommendes Unbehagen zum Ausdruck bringen können. Ist es nicht Mailand selbst, welches sich solche Formeln züchtet, ist es nicht ein Zusammenspiel der Menschen, der Designer und ihrer Erwartungen, die diese Veranstaltung, diese Stadt und letztlich diese Aufgabe zur Qual werden lassen? Ist nicht der Graben zwischen dem Erwarteten und dem Bekommenen nicht der Grund für all den Unmut? Die Abneigung gegen die bloße Selbstinszenierung. Der Versuch zu spielen, zu blenden, zu handeln, dick aufzutragen, sich selbst zuprostend. Die Fassade möglichst hoch zu halten, um den Schatten für die eigene Ideenlosigkeit, die immer schneller schwappende Retrowelle und die Mutlosigkeit möglichst groß zu halten.
Mailand ist letztlich nur ein Ort, ein Spiegel des Designs, ein Spiegel der Szene, ein Spiegel einer Produktkultur. Mailand ist eine Abgrenzung, eine klare Abgrenzung und auch diese Aufgabe ist eine Abgrenzung. Dieses Mailand schafft eine Schwelle, eine künstliche Schwelle zwischen sich und dem Rest der Welt. Am liebsten sieht man sich als Messias, als Heilsbringer, richtend und vernichtend gebeugt über das alte Bodenständige, die Arbeiter, Familien, Weinstuben, Bürger, Mc Donalds die Festzelte und Bierbänke, die Gamsbärte und Römer, die Weisswürste und Stammtische, mit all ihren roten Nasen und ihren Geschichten aus der „Guten alten Zeit“. Aber keine Angst, ich möchte mich nicht auf die Seite dieser Gruppen schlagen und möchte auch keine Fast-Food-Retortennahrungsmittel verteidigen. Möchte keine Biergelage gutheißen, möchte mich nicht bis zum Platzen mit Weisswürsten mästen, keine Alkoholiker rehabilitieren, die von ihren Arbeitnehmern ausgenommen werden und morgen arbeitslos auf der Strasse stehen, während ihre Söhne, Achmed und Mehmet verkloppen und die Welt befreien möchten. Ich möchte nur sagen, dass diese Gruppen von Menschen von Mailand gebraucht werden. Gäbe es niemand der angeblich so schlecht sei, könnte man sich auch nicht über ihn erheben und sich gegen ihn abgrenzen, aber von dieser Abgrenzung lebt Mailand. Gute Designer sollen froh sein, dass es schlechte Designer gibt.
Unsere Aufgabe ist es dieses Spannungsverhältnis aufzuzeigen und zu kommentieren. Wir wollen zeigen, wo die Stärken und Schwächen liegen und wo der Hund begraben ist. Wir wollen zeigen, dass es nicht so einfach ist Neues zu schaffen indem man nur das Alte verdammt.
Wir müssen vermischen und gegenüberstellen, verhöhnen und überschneiden, müssen Parallelen aufzeigen und verarschen, um die Sinne zu schärfen. Gegenüberstellung mit Alltäglichem, Einblendung von Historischem, Vermischung mit der Unterschicht, Überschneidung von Nahrung und Industrie, Verarschung von Fastfood und Anprangerung von Massentierhaltung, Verhöhnung von Altnazis in Festzelten, Lederhosen und Schenkelklopfer, öden Tussis, jungen Aufstrebenden, Mailand Ponanis, Jupis, Möchtegerns und Blendern. Die Ideale von Mailand, die Softedges, Silikons, die Regenbogenfarben, Palisanderhölzern, die Witzigkeit, die Weingläser, die Überheblichkeit, das moderne Nomadentum und die 3er BMWs. All dies wird hier verkocht und vermischt und in die große Mailand Seifenblase geschüttet.
Jeder sollte sein Fett weg kriegen, jeder sollte seinen Spaß haben, jeder soll glauben, dass er Hause sei, jeder soll über jeden lachen und keiner soll was merken, außer wir und alle die mit uns sind, alle die sich mehr als drei Minuten Zeit nehmen.

Wie wir´s in Mailand machen

Ich glaube, dass wir Mailand liefern müssen, was Mailand will. Wir müssen zeigen, was gesehen werden will, wir müssen zeigen, was fotografiert und gedruckt werden soll, wir müssen zeigen, was ernst genommen wird. Wir müssen ernst bleiben und dürfen nicht nur Aufruhr erzeugen, dürfen auf der anderen Seite nicht nur Style haben sondern mehr kommunizieren. Wir müssen es schaffen zu zeigen, was wir glauben und denken, müssen zeigen was wir können und was wir gelernt haben und müssen zeigen wofür wir einstehen. All dies muss mit in diesen Auftritt in Mailand einfliesen.
Deshalb verwenden wir Attribute aus den verschiedenen Bereichen, aus all den Bereichen, zu denen wir sprechen wollen. Wir benutzen Stilmittel, die die einzelnen Gruppen kennen und bevorzugen und in denen sie sich wohl fühlen. Wir aber werden all diese Stile vermischen und zu etwas Neuem formen.
- Wir nehmen Biertische aus Festzelten, einen Edelstahlunterbau wie er von namhaften Möbelherstellern geliebt wird, Softedges wie sie von Mailand verehrt werden und Palisander wie es uns die Wallpaper vorschreibt. Das entstehende Sitzmöbel wird zwar kaum bequemer als eine herkömmliche Bierbank ausfallen allerdings wird der deluxe Anblick die meisten Prada verwöhnten Mailandpopöchen über diese Tatsache hinwegtäuschen.
- Wir nehmen edle Weingläser mit internationalen Formen von Riedel, versiegeln das ganze mit Aluminium Folie wie wir es von Jogurtbechern her kennen gekrönt vom klassischen „Überschwabschutz“ mit Röhrchenloch. Die Mailand Möbelschikaria nimmt den Deckel ab, zieht die Alufolie runter und muss sich für nichts schämen, denn alles ist hip, dem gemeinen Schnösel zuprostend, der den gleichen Wein durch einen schwarz – rot – goldnen Strohhalm zu sich nimmt.
- Wir nehmen Kuhköpfe, fein säuberlich präpariert auf Holzschilde montiert als Jagdtrophäe der Fastfoodgeneration thronend in 2,50 m Höhe über den Tischen. Natürlich ohne Anzeichen der Bolzenschussaperate denen sie zum Opfer fielen.
- Wir nehmen nationale Symbole wie es bodenständige Gruppierungen gerne tun und quetschen sie in trendige Symbolgrafiken wie sie zwischen Klo und Lounge in jedem Flughafen zu finden sind.

Schluss

Bürgertum und Kleinbürgertum sind in Deutschland besonders ausgeprägt, deshalb ist Deutschland der optimale Kandidat für unsere Bestrebungen.
In den 80er Jahren begannen Designer sich massiv über das Bürgertum zu erheben und sich über den normalen Spießer lustig zu machen, indem er seine Symbole und Einrichtungen in einer veränderten Umgebung zur Schau stellte. Dieser Trend hält bis heute an und lebt in der stetigen Abgrenzung von Design und Normal. Dies wird gerade in Mailand zur Schau gestellt und zelebriert. Aber wie soll eine Messe Mailand Bedeutung haben, wenn sie sich selbst in einer kleinen Minderheit abgrenzt. Wer soll Design verstehen, wenn es niemandem näher gebracht wird, wer soll Design kaufen, wenn er nicht zum Stamm der Wunschkunden gehört.
Hier unterscheiden sich unsere Bemühungen von denen der 80er Jahre erheblich. Wir wollen keine Gruppe lächerlich machen, sondern alle ins Lächerliche ziehen, wir wollen alle stutzig machen. Jeder kriegt seinen Peitschenhieb ab, aber jeder bekommt auch sein Zuckerbrot. Wir sind der Zwang, der Design zum Volk führt. Bürger, Designer, Arbeiter und Neureiche sitzen Burger essend und Wein schlürfend auf einer Palisanderbank, lachen miteinander und übereinander, konsumieren verschwenderisch und über allem schwebt die heilige Kuh des Designs und wir rufen unseren Leitspruch aus
„Deutschland ist wieder sexy“